Das Methusalem-Komplott - Hans-Jrg Butt beim FC Bayern 11FREUNDE

Alle Mann an Deck, alles hrt auf mein Kommando. Selten hatten die Mitspieler ihren jungen Schlussmann so forsch erlebt. Aber als die Motoryacht mit dem Team des VfB Oldenburg aus dem Hafen im niederlndischen Sneek ablegte, bestand kein Zweifel mehr, wer in den nchsten Tagen an Bord den Ton angeben wrde: Hans-Jrg Butt.

Alle Mann an Deck, alles hört auf mein Kom­mando. Selten hatten die Mit­spieler ihren jungen Schluss­mann so forsch erlebt. Aber als die Motor­yacht mit dem Team des VfB Olden­burg aus dem Hafen im nie­der­län­di­schen Sneek ablegte, bestand kein Zweifel mehr, wer in den nächsten Tagen an Bord den Ton angeben würde: Hans-Jörg Butt.

Eine spek­ta­ku­läre Regio­nal­liga-Saison 1995/96 hatte der VfB soeben als Meister abge­schlossen. Bevor in den Rele­ga­ti­ons­spielen gegen Tennis Borussia Berlin der Auf­stieg in die zweite Liga per­fekt gemacht werden sollte, hatten sich die Nie­der­sachsen fünf Par­ty­tage auf den Kanälen des Ijs­sel­meeres red­lich ver­dient. Und weil er zuhause eine solide See­tüch­tig­keit erlernt hatte, navi­gierte nun der 21-jäh­rige Keeper sein Team so zuver­lässig und ver­ant­wor­tungs­be­wusst durch die Grachten, wie er zuvor seine Abwehr durch 34 Liga­spiele diri­giert hatte.

Doch ein Tor­wart­leben folgt nun mal der Gesetz­mä­ßig­keit, dass das Unheil meis­tens dann ein­trifft, wenn es nicht erwartet wird. Die Idylle hielt also nicht lange an. Nach einige Tagen manö­vrierte Boots­mann Butt die Yacht für ein lockeres Trai­nings­spiel ans Ufer, um sich dabei prompt eine drei­fache Bän­der­ruptur inklu­sive eines Risses des Syn­des­mo­se­bandes zuzu­ziehen. Keine zwei Wochen vor den schweren Auf­stiegs­spielen. Die Ehre des See­manns aber ver­langt, dass der Kapitän das sin­kende Schiff als letzter ver­lässt. Butt biss auf die Zähne, spielte beide Par­tien – ban­da­giert und schmerz­ge­stillt – über die volle Zeit und fei­erte mit dem VfB Olden­burg den glück­li­chen Auf­stieg.

Jörg war heiß wie Frit­ten­fett“

Sein dama­liger Trainer, Hubert Hüring, sagt: Tor­hüter seiner Klasse wollen immer gewinnen, immer spielen. Jörg war heiß wie Frit­ten­fett.“ Weil der Job einem Keeper aber zwangs­läufig abver­langt, nach dem Hin­fallen wieder auf­zu­stehen, um im nächsten Augen­blick wieder hin­zu­fallen, begab es sich, dass Butt und die eben noch aus­ge­lassen fei­ernde Mann­schaft in der Folge fast die gesamte Zweit­li­ga­saison auf einem Abstiegs­platz ver­brachten. Der junge Tor­wart, der nebenbei in Voll­zeit arbei­tete und seine Aus­bil­dung zum Groß­han­dels­kauf­mann abschloss, konnte die Form der Vor­saison nicht kon­ser­vieren – und wurde nach dem 19. Spieltag von Hüring auf die Bank gesetzt. Er schmollte, gab sich unein­sichtig. Warum erin­nerte sich keiner mehr an seine Opfer­be­reit­schaft in den Wochen des Auf­stiegs?

Mit seinem Coach sprach er nur noch das Nötigste – und als Felix Magath, damals Trainer in Ham­burg, anfragte, ob er zum Sommer als dritter Tor­wart zum HSV kommen wolle, wech­selte er in die Han­se­stadt und in eine unsi­chere Zukunft. Dort stieg er zu einem der bedeu­tendsten deut­schen Keeper der Mill­en­nium-Jahre auf. Rück­bli­ckend sagt der Olden­burger: Ich habe ver­sucht, mir die Wut, die ich emp­fand, zunutze zu machen.“ 

Dieser Blick auf die Ach­ter­bahn­fahrt der Gefühle in den frühen Jahren ist eine Blau­pause für Butts inzwi­schen 14 Jahre andau­ernde Pro­fi­kar­riere. Eine Lauf­bahn, die auch heute noch im Loop zwi­schen Euphorie und Schei­tern oszil­liert, zwi­schen Hin­fallen und Auf­stehen. Ein Natur­ge­setz, das den inzwi­schen 35-Jäh­rigen tief geprägt und nun, im Spät­herbst, zwi­schen die Pfosten des FC Bayern Mün­chen geführt hat.

Dabei unter­schrieb der drei­ma­lige Natio­nal­spieler im Sommer 2008 beim Rekord­meister unter der scharfen Auf­lage, klaglos und geräuscharm ein Dasein als Nummer zwei hinter dem hoch­ge­lobten Kahn-Nach­folger Michael Rensing zu fristen. Nicht unbe­dingt die Ide­al­vor­stel­lung von einem Kar­rie­re­aus­klang für einen, der über 330 Bun­des­li­ga­spiele auf dem Buckel hat, ein Cham­pions League-Finale spielte, mit 26 Elf­me­ter­tref­fern als tor­ge­fähr­lichster Keeper in die Annalen der höchsten deut­schen Spiel­klasse ein­ging und einst sogar als Ver­treter von Oliver Kahn und Jens Leh­mann zur WM 2002 nach Asien reiste. 

Das Bayern-Manage­ment befasste sich schon länger mit der Nach­fol­ge­re­ge­lung für Oliver Kahn. Ein internes Stel­len­an­gebot wurde ab 2007 in Bera­ter­kreisen gestreut: Der Klub benö­tige einen loyalen Back-up, der den Kar­rie­re­start des Tor­wart-Thron­fol­gers Rensing im Stile eines Elder Sta­tesman kata­ly­siere, ohne dabei selbst Macht­an­sprüche zu stellen. In der engeren Aus­wahl stand neben Butt auch Simon Jentzsch, der beim VfL Wolfs­burg von Felix Magath aus­sor­tiert worden war.

Klaus Augen­thaler, der sowohl Butt in Lever­kusen, als auch Jentzsch aus seiner Zeit als Trainer bei den Wölfen kannte, wurde von Uli Hoeneß zu seiner Mei­nung befragt – und ten­dierte klar zu dem Olden­burger. Augen­thaler sagt: Jörg Butt ist ein ruhiger Zeit­ge­nosse, der macht keinen Ärger und bringt zuver­lässig Leis­tung.“ 

Ab dem Moment seines Dienst­an­trittes an der Säbener Straße im Sommer 2008, ließ Butt denn auch keine Zweifel an seiner Loya­lität gegen­über der flip­pigen, mit­unter zu Selbst­über­schät­zung nei­genden Nummer eins auf­kommen. Im Gegen­teil, er fiel so wenig auf, dass FCB-Tor­war­trainer Walter Jung­hans mit­unter suchen musste, um den Ersatz­mann irgendwo in der hin­tersten Ecke des Trai­nings­platzes zu ent­de­cken, wo Butt still und leise sein Pro­gramm abspulte. Jung­hans sagt: In den ersten Trai­nings­ein­heiten nahm man ihn kaum wahr.“

Ich bin eher der Typ Natur­wis­sen­schaftler“

Was treibt einen Mann von seinem Format, sich frei­willig in diese Form von Alters­teil­zeit zu begeben? Zumal ihm vor seinem Wechsel nach Mün­chen auch Ange­bote mit ein­ge­bauter Stamm­platz­ga­rantie von Erst­li­gisten aus Spa­nien, Eng­land und Ita­lien vor­lagen. Die Gründe haben viel mit Butts Eigen­wahr­neh­mung zu tun. Er sagt: Ich bin eher der Typ Natur­wis­sen­schaftler.“ Sein Abitur baute er auf einem tech­ni­schen Gym­na­sium. Butt kennt das Gesetz von der Träg­heit der Masse – und er beherrscht die hohe Kunst der Mathe­matik. Für einen Mann mit seiner Erfah­rung gehört es wohl eher zum kleinen Ein­mal­eins, sich aus­zu­rechnen, wie viele Mög­lich­keiten ihm dieses ver­meint­lich chan­cen­lose Enga­ge­ment beim FC Bayern bot. Die Aus­gangs­po­si­tion war klar: Ich kam als Nummer zwei. Aber ich wusste auch, dass es eine sehr lange Saison wird – und ich zwangs­läufig meine Chance bekomme.“ 
Die Rolle des Mannes, der aus dem Halb­dunkel kommt, war für ihn nicht neu. Schon nach seinem Wechsel zum HSV 1997 stand er eigent­lich auf ver­lo­renem Posten. Der neue Trainer, Frank Pagels­dorf, ging in die Sai­son­vor­be­rei­tung mit Butt als Nummer drei. Aber wer nichts hat, hat auch nichts zu ver­lieren – und in dieser druck­losen Situa­tion funk­tio­nierte der junge, ambi­tio­nierte Tor­hüter wie ein Uhr­werk. Im Trai­ning lie­ferte er Best­leis­tungen ab, erar­bei­tete sich nach und nach das Ver­trauen der Mit­spieler. Hinzu kam, dass Pagels­dorf die Macht­ver­hält­nisse im Team neu gewichten wollte.

Ein Bau­ern­opfer sollte dabei die HSV-Legende Richard Golz werden. Am ersten Spieltag stand urplötz­lich Hans-Jörg Butt im Tor – und der Youngster recht­fer­tigte das Ver­trauen, abge­sehen von einer kurzen Schwä­che­pe­riode im Winter, bis zum Ende der Spielzeit.„Der Junge frisst sich durch“, sagt Klaus Topp­möller, später Butts Trainer in Lever­kusen.

Still und unmerk­lich wie Kor­ro­sion befiel er wie einst in Ham­burg auch die hoch­tra­benden Pläne des Michael Rensing. Wäh­rend dieser im eisigen Wasser der Bun­des­liga ver­zwei­felt ver­suchte, an der Ober­fläche zu schwimmen, trai­nierte Butt wie es sein Arbeit­geber von ihm erwar­tete: zuverlässig,emotionslos und stets in freund­li­cher Abstim­mung mit dem per Hoeneß-Dekret über­ge­ord­neten Kol­legen. Und in der Gewiss­heit, dass das Klima beim Rekord­meister gerade auf der signi­fi­kanten Tor­hü­ter­po­si­tion für einen Neu­ling schnell unan­ge­nehm werden kann. Butt hat die Situa­tion von Anfang an kühl ana­ly­siert: Die Bayern haben auch des­halb Erfolg, weil hier der Druck am größten ist. In einem Team wie diesem ist der Kredit schnell auf­ge­braucht. Schon wenn man mal zwei, drei Tage im Trai­ning seine Leis­tung nicht bringt, gibt es Feuer.“ Und Rensing wurde schneller heiß, als ihm lieb sein konnte. 

Ein wei­teres Plus: Der Nie­der­sachse kennt auch den Gegen­schnitt. Denn so kühl wie Pagels­dorf 1997 den ver­dienten Richard Golz in Ham­burg abser­vierte, so kalt ereilte dieses Schicksal im Februar 2007 auch Butt selbst in Lever­kusen. Ein Kreis schloss sich. Unstrittig war, dass René Adler dort lang­fristig in Butts Fuß­stapfen treten sollte. Doch solange Klaus Augen­thaler als Coach bei Bayer 04 das Sagen hatte, ließ er keine Zweifel an seiner Loya­lität zu Butt auf­kommen. Als aber 2005 Michael Skibbe begann, den Kader zu moder­ni­sieren, geriet zuneh­mend auch der Tor­wart in die Kritik. Schon seit Bayer im Früh­jahr 2002 im Finale des DFB-Pokals, im Schluss­spurt der Meis­ter­schaft und im Cham­pions League-End­spiel gegen Real Madrid dreimal in Folge den Kür­zeren gezogen hatte, eilte Butt im Rhein­land der Ruf des Flie­gen­fän­gers voraus. Zumal ihm immer wieder auch mal spek­ta­ku­läre Pannen unter­liefen, wie etwa im April 2004, als er mit einem Foul­elf­meter zum 3:1 auf Schalke für die Vor­ent­schei­dung sorgte, aber vor lauter Jubel vergaß, recht­zeitig wieder zurück in seinem Tor zu sein. Mike Hanke gelang es der­weil direkt vom Anstoß­kreis per Bogen­lampe zum 2:3 ein­zu­schießen.

Das Murren der Kri­tiker, denen es bei Butts kom­mu­ni­ka­ti­ons­armem Tor­wart­spiel auch an Extro­ver­tiert­heit man­gelte, wurde lauter und es kam, wie es kommen musste: Als Butt am 10. Februar 2007 im Heim­spiel gegen Ein­tracht Frank­furt nach einer Not­bremse Rot sah, war seine Zeit bei Bayer 04 Geschichte. Die anschlie­ßende Sperre nahm der Trai­ner­stab zum Anlass, den abruf­be­reiten Adler im Tor zu eta­blieren.

Wenn es über­haupt einen Moment in Butts Bio­grafie gibt, der einem Bruch gleich­kommt und nach psy­cho­lo­gi­scher Auf­ar­bei­tung ver­langt, dann dieser. Ich wusste, dass der Verein über meinen Nach­folger nach­denkt – und es war klar, dass es René Adler eines Tages wird. Aber, nachdem ich 150 Spiele am Stück gemacht hatte, mich wegen eines Spiels auf die Bank zu setzen, emp­fand ich als unge­recht“, gönnt er sich einen sel­tenen Moment der Emo­tion. Aber Butt wäre nicht Butt, wenn er nicht im nächsten Satz schon wieder rational schluss­fol­gern würde: Aber ich sehe es positiv: Ohne diese Situa­tion würde ich jetzt wohl nicht bei Bayern spielen.“ Jede Situa­tion ver­dient für ihn eine ange­mes­sene, sach­liche Bewer­tung. Jede These besitzt bekannt­lich eine Anti­these. Und so schlug sich schon zu Olden­burger Zeiten sein Trainer Hüring öfter vor den Kopf, weil Butt auch ver­meint­lich ein­deu­tige Situa­tionen im Sinne des Ange­klagten zu beur­teilen ver­suchte. Als VfB-Stürmer Thomas Goch im Derby gegen den SV Meppen in der Nach­spiel­zeit beim Stande von 1:1 einmal frei vor dem Tor ste­hend eine Groß­chance vergab, weil er lieber selbst drauf­hielt, als einem besser pos­tierten Mit­spieler den Ball vor­zu­legen, beschwich­tigte Butt seinen kurz vorm Kol­laps ste­henden Coach: Immerhin hat Goch sich die Chance selbst erar­beitet.“ 

Den ana­ly­ti­schen Blick und das Ver­ständnis für die Mit­spieler kul­ti­viert er fast über die Maßen. Es ist kein Fall akten­kundig, in dem sich Jörg Butt öffent­lich über einen Kol­legen beschwert hat. Klaus Augen­thaler sagt: Wenn etwas schief läuft, sucht er zuerst immer die Schuld bei sich.“ Intern zeigte er sich schwer gekränkt, als ihn der HSV 2001 nach Lever­kusen ziehen ließ, ohne ein seriöses Gegen­an­gebot zu machen. Als der Wechsel schon wäh­rend der Saison bekannt wurde, erschienen in Bou­le­vard­zei­tungen plötz­lich Gehalts­in­terna, die offen­sicht­lich aus dem Klub­prä­si­dium ihren Weg in die Öffent­lich­keit gefunden hatten. Der Keeper, der auch wegen seiner 19 Elf­me­ter­tore, die er in vier Jahren in Ham­burg erzielt hatte, bei den Fans („Butt­butt­butt“) zur Kult­figur avan­ciert war, fiel in Ungnade, galt fortan als Raff­zahn“ und wurde fast uneh­ren­haft ent­lassen. Sein HSV-Zim­mer­nachbar Martin Groth erin­nert sich: Es hat schwer an ihm genagt, und es hat das Ver­trauen zum Verein zer­stört. Aber Jörg hat nie die Öffent­lich­keit für seine Belange benutzt, hat nie einen Hype um sich gemacht. Selbst in diesem Fall hat er seinem Frust nur privat Luft gemacht.“ Dis­kre­tion bis an die Grenzen der Selbst­zer­flei­schung, mehr als unty­pisch im von Exzen­tri­kern durch­setzten Gewerbe der Bun­des­liga-Tor­hüter.

Wie sehr dieses Maß an Zurück­hal­tung auch Rück­schlüsse auf seine Qua­li­täten auf dem Feld zulässt, hängt von der Per­spek­tive ab: Klaus Topp­möller beschei­nigt Butt zwar, mit seinem sach­li­chen Spiel stets eine beru­hi­gende Wir­kung auf seine Mit­spieler gehabt zu haben. Aber mit­unter hätte ich mir von ihm auch mehr Forsch­heit und Dynamik gewünscht“. Dabei ist es kei­nes­wegs so, dass Butt klare Ansagen scheut. Schon als Jung­spund in Olden­burg sind von ihm Gar­di­nen­pre­digten auch an weitaus ältere Team­kol­legen über­lie­fert, die sich auf dem Platz zu wenig enga­gierten. In Lever­kusen machte Butt regel­mäßig dem phleg­ma­ti­schen Dimitar Ber­batov Beine. Butt: Weil er vom Poten­tial her eigent­lich ständig Welt­fuß­baller werden müsste, aber oft zu wenig aus seinen Mög­lich­keiten machte.“

Es sind die Maß­stäbe des Erfolges, mit denen Butt in sol­chen internen Kon­fron­ta­tionen argu­men­tiert. Als ihn ein Jour­na­list vor Jahren einmal fragte, ob es denn nichts gäbe, was ihn so richtig aus der Ruhe brächte, ant­wor­tete Butt: Doch – Gegen­tore.“ Immerhin. Wohl­tuend hebt sich der Nord­deut­sche mit seiner ruhigen Art vom Gros seiner jungen Kol­legen ab. Als schäu­mender Dampf­plau­derer eignet sich der kühle Blonde ebenso wenig wie als schräger Spaß­vogel der Marke Sepp Maier. Wäh­rend Oliver Kahn mit Sätzen wie Wir brau­chen Eier, EIER!“ seinen Platz in den Fuß­ball-Alma­na­chen eher in Schlag­zei­len­form mani­fes­tiert hat, ist Butt dies sub­tiler gelungen. Als er in der Saison 1999/00 nach seinem neunten Elf­me­tertor gefragt wurde, ob er die Tor­jä­ger­krone anpeile, sprach er: Ich ver­suche alles, aber Bier­hoff, Preetz und Kirsten treffen ein­fach öfter.“

Butt hat seine nord­deut­sche Distan­ziert­heit auch zum Prinzip für seinem Beruf erhoben. Er glaubt, dass zu viel Nähe zu einem Trainer sich nach­teilig auf die Kar­riere eines Kee­pers aus­wirkt, weil immer die Gefahr besteht, dass der Spieler nicht mehr allein unter Leis­tungs­kri­te­rien bewertet würde, son­dern in Hin­blick auf seine Pfründe. Butt sagt: Ein Tor­wart ist für seine Bilanz letzt­lich immer selbst zuständig. Ver­trauen ist keine Ein­bahn­straße. Wenn ein Tor­wart zur Nummer eins gemacht wird, muss er dieses Ver­trauen auch immer wieder recht­fer­tigen.“

Dabei scheint Hans-Jörg Butt das ent­schei­dende Quänt­chen Selbst­be­wusst­sein, wel­ches einen guten Tor­wart mit der Aura des Unbe­zwing­baren aus­stattet, zu fehlen. Ehe­ma­lige Übungs­leiter loben ihn für gute Reflexe, für eine extreme Sprung­kraft, seine Fähig­keit zur Anti­zi­pa­tion und auch für sein großes Können als Feld­spieler. Aber Klaus Augen­thaler, der in jedem seiner 74 Bun­des­li­ga­spiele als Bayer-Coach auf ihn ver­traute, sagt: Sein Pro­blem war, dass er seine Fähig­keiten nicht immer im Spiel umsetzen konnte. So kam es vor, dass beim Raus­laufen kurz­fristig sein Selbst­ver­trauen stockte.“ 

Auf­stehen, hin­fallen, auf­stehen, hin­fallen

Das Jahr 2007 sollte zum Tief­punkt werden. Nach der Aus­mus­te­rung in Lever­kusen ent­schied sich der gede­mü­tigte Keeper für ein Angebot von Ben­fica Lis­sabon. Nach zehn Jahren Bun­des­liga wollte er zu neuen Ufern auf­bre­chen, neue Per­spek­tiven auf das Leben gewinnen. Ben­ficas Stamm­tor­hüter Quim hatte eine üble Saison gespielt, der für seine Zuver­läs­sig­keit gerühmte Butt sollte wieder Sicher­heit in die wan­kende Abwehr bringen. Doch der Wechsel stand von Beginn an unter einem schlechten Stern. Im Prä­si­dium gab es Gerangel, wäh­rend der Saison wech­selte dreimal der Trainer. Butt, der erst zwei Wochen später in die Vor­be­rei­tung ein­stieg, saß am ersten Spieltag auf der Bank. Quim, sti­mu­liert durch den ange­fachten Kon­kur­renz­kampf, lief par­allel zu großer Form auf. Den­noch ver­suchte der Deut­sche, das Beste aus seiner Situa­tion zu machen. Nach einer Dekade im Dau­er­stress der Bun­des­liga mit ins­ge­samt 48 Spielen in der Cham­pions League, bekam er in Por­tugal end­lich wieder Gele­gen­heit, kon­zen­triert und in Ruhe an seinen Defi­ziten zu feilen. Er sagt: Oft bin ich nach dem Trai­ning noch draußen geblieben, habe gezielt an meiner Straf­raum­be­herr­schung oder an meinem linken Fuß gear­beitet.“

Als sich im März 2008 die Anzei­chen mehrten, dass Trainer José Antonio Camacho ihn in die Startelf holen würde, trat der Coach völlig über­ra­schend von seinem Amt zurück. Das Ben­fica-Pro­jekt war geschei­tert. Auf­stehen, hin­fallen, auf­stehen, hin­fallen. Butt setzte sich mit dem Spie­ler­be­rater Jörg Neb­lung in Ver­bin­dung, der schon seinen Transfer nach Lis­sabon ein­ge­fä­delt hatte, und begann, neue Ange­bote zu son­dieren. Neb­lung, dessen popu­lärster Klient Robert Enke ist, hatte schon 2007 mit dem Gedanken gespielt, Jörg Butt zu den Bayern zu ver­mit­teln. Sein Plan bestand darin, den Olden­burger als Nummer zwei hinter Oliver Kahn zu instal­lieren, wenn Michael Rensing gleich­zeitig an einen Bun­des­li­gisten aus dem unteren Tabel­len­drittel aus­ge­liehen worden wäre, um dort Spiel­praxis zu sam­meln. Aber der Bay­ern­vor­stand zog es vor, Rensing zu behalten und ent­schied sich des­halb zunächst gegen eine Ver­pflich­tung von Jörg“, so Neb­lung.

Ein Jahr später hatte er mehr Erfolg bei der Ver­mitt­lung. Den­noch standen die Chancen auf eine Rück­kehr ins Bun­des­li­gator denkbar schlecht: Denn in der Ära Klins­mann wurde die Causa Rensing“ fast zum Poli­tikum. Wäh­rend der Trainer eigent­lich ergeb­nis­offen dem Kon­kur­renz­kampf seiner Tor­hüter gegen­über stand – machte der Vor­stand es zur Chef­sache, dass der Youngster um jeden Preis als neuer Stamm­tor­hüter zu eta­blieren sei. Erst als Klins­mann nach der 5:1‑Klatsche im April 2009 gegen den VfL Wolfs­burg selbst schon mit dem Rücken zur Wand stand, ver­suchte er mit dem Tor­wart­wechsel unmit­telbar vor dem Cham­pions League-Vier­tel­fi­nale gegen den FC Bar­ce­lona einen letzten, ver­zwei­felten Neu­start. 

Unauf­ge­regt hatte Butt in den Wochen und Monaten zuvor auf einen mög­li­chen Ein­satz hin­ge­ar­beitet. Mit der Über­zeu­gung eines Mannes, der das Bun­des­li­ga­ge­schäft besser kennt, als 90 Pro­zent aller noch aktiven Spieler, hatte er wie ein Schläfer still auf den Moment seiner Mobil­ma­chung gewartet. Er hatte nicht einmal auf­gemuckt, als ihm, ent­gegen der eigent­li­chen Abma­chung, auch in den Spielen des DFB-Pokals die Bühne des Bay­ern­tors ver­schlossen blieb. Neb­lung erklärt, wieso: Da Rensing derart in der Schuss­bahn der Medien stand, wurde nach meinen Kennt­nissen beschlossen, dass er alle Spiele macht.“ Es nutzte alles nichts, das Talent konnte die hohen Erwar­tungen nicht erfüllen. Butts Geduld zahlte sich am Ende aus.

Sein alter Buddy, Markus Groth, bringt das bit­ter­süße Kom­plott des Tor­wart-Methu­sa­lems auf den Punkt: Der Jörg ist in Mün­chen nicht Nummer eins geworden, weil er sich rein­gesab­belt hat, son­dern weil er kon­ti­nu­ier­lich Leis­tung gebracht hat.“ Die Kunst zu Warten ist Teil des Berufes. Denn für einen Tor­wart, der 90 Minuten im Brenn­punkt steht, ist es leicht, sich aus­zu­zeichnen. Die wahre Qua­lität aber zeigt sich erst, wenn er 89 Minuten auf einen Schuss wartet und dann in der ent­schei­denden Sekunde eine Welt­klas­se­leis­tung ablie­fert.

Butts Under­state­ment hat aus dem gefal­lenen Helden wieder einen Hoff­nungs­träger gemacht. Einen, der gebraucht wird. So wie die Erfolge von Trainer-Oldies wie Jupp Heyn­ckes oder Felix Magath alle Theo­rien wider­legen, die besagen, die Tra­di­tio­na­listen haben aus­ge­dient und ohne moderne Leis­tungs­dia­gnostik ginge nichts mehr, beweist Jörg Butt, dass man es mit dem Mut, sich noch einmal hinten anzu­stellen, ins Tor eines Rekord­meis­ters schaffen kann, statt über ein revo­lu­tio­näres Spiel oder die Meriten, die Experten einem anheften. Seine Demut geht vielen Kol­legen ab. Doch er weiß, dass das nächste Schei­tern nicht lange auf sich warten lässt: Mit 35 kann er nur noch von Spiel zu Spiel denken – gerade bei Bayern ist alles ständig im Fluss.

Aber Butt hat sich seine Unab­hän­gig­keit bewahrt und genießt den Augen­blick. Mit Blick auf das gegen­wär­tige Happy End, sagt er: Ich frage mich, ob es auch in zehn Jahren noch so viele Profis mit weit über 300 Bun­des­li­ga­spielen gibt. Denn ich stelle fest, dass viele junge Spieler heute sehr schnell zufrieden sind.“

An wen er dabei denkt, sagt Hans-Jörg Butt nicht.

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